Iserlohn-DenkMal e.V. - Zukunft braucht Erinnerung
Was ist ein Denkmal und was ist besonders denkmalwürdig? Jahrhundertealte Gebäude wie Kirchen, Schlösser oder auch Burgen werden in der Öffentlichkeit als schützenswert und denkmalwürdig wahrgenommen. Tatsächlich geht der Denkmalschutz aber darüber hinaus und nimmt auch Industriegebäude, Zweckbauten oder einfache Wohnhäuser in den Blick. Letztere enthalten beispielsweise wichtige Informationen über die den Alltag der sogenannten „Kleinen Leute“. Weil sie aber oft weder durch ein besonders hohes Alter noch durch architektonische Besonderheiten auffallen, sind gerade die Häuser der einfachen Leute von Abriss, Verfall und undokumentiertem Verschwinden bedroht.
Neue Aktualität hat das Thema Denkmalschutz in der aktuellen Politik Nordrhein-Westfalens durch die Verabschiedung eines neuen Denkmalschutzgesetzes erhalten, das den Städten und Gemeinden am oberen Denkmalschutz vorbei weitaus größeren Handlungsspielraum einräumt. Trotz entsprechender Petitionen an den Landtag und trotz der in der „Düsseldorfer Erklärung“ dargelegten Argumente des neuen Denkmalschutz-Bündnisses NRW (unter anderem hat hier auch das Amt für Denkmalschutz, Landschafts- und Baukultur des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe deutlich Position bezogen) gelang es den Fachleuten des Denkmalschutzes nicht, das neue Gesetz zu verhindern, das beispielsweise den Abriss historischer Bausubstanz zugunsten von Wohnungsbau erheblich erleichtert.
Im Denkmalschutz Engagierte wie Holger Lüders, der erste Vorsitzende des Vereins Iserlohn-DenkMal e.V., befürchten nun, dass schützenswerte Baudenkmäler künftig gegenüber Wohnraumbeschaffung, Barrierefreiheit oder Klimaschutz keine Chance haben werden und dass das bauliche Gedächtnis von Städten wie Iserlohn zunehmend verschwinden wird. Dieser Entwicklung stemmt sich der Verein entgegen.
Wie das aussehen kann, zeigt die Rettung des Hauses am Südengraben 28 in Iserlohn.
Auf den ersten Blick ist das Gebäude ein typisches kleinbürgerliches Haus: traufenständig, zweigeschossig, ein hohes Dachhaus mit einer Ladegaube. Es befindet sich als Teil einer Häuserzeile an der Rückseite der ehemaligen Stadtmauer und nutzt diese gleichzeitig auch als Rückwand. Mit der der Zeit geriet das Gebäude in Vergessenheit. Seit 1987 drohte das mittlerweile leerstehende kleine Häuschen – der Begriff ist bei einer Wohnfläche von 36 Quadratmetern durchaus angebracht – zu zerfallen. Wegen langer Zeit unterbliebener Instandhaltung war es in tragenden Teilen massiv geschädigt und schien in seiner Bausubstanz sehr stark gefährdet.
Bei der ersten Ortsbegehung zeigte sich, wie stark das Häuschen über die Jahrhunderte in Mitleidenschaft gezogen worden war. Das Fachwerk war durch eindringendes Wasser an der Straßen- und Westseite zerstört. Ein zweiter fachmännischer Blick offenbarte dann aber Sensationelles. Denn zur Erbauung des Häuschens war im 18. Jahrhundert vermutlich ein abgetragener Wehrturm genutzt worden. Damit dürfte das Haus in erheblichen Teilen tatsächlich aus dem ältesten Profanbau der Stadt Iserlohns bestehen. Ein Vergleich mit einem Urkataster von 1829 legt diese Vermutung des Vereins nah. Weitere Nachforschungen zur Nutzung des Hauses ergaben, dass hier seit 1727 einfache Handwerker gewohnt haben. Wie ihre Wohnverhältnisse sich dargestellt haben, belegt ein weiterer spannender baulicher Fund: die sogenannte „Kostgängerkammer“ auf dem Dachboden des Häuschens. Sie war im Rahmen einer vorab durchgeführten Bauforschung von Dr. Fred Kaspar in seiner Eigenschaft als LWL-Denkmalpfleger entdeckt worden.
Die ohnehin schon beengten Wohnverhältnisse wurden jahrzehntelang also noch durch Untermieter verkleinert. Solche Kostgängerkammern wurden ursprünglich eingerichtet, um Soldaten einzuquartieren, wenn Militär in den Städten untergebracht werden musste. Später wurden sie auch aus finanzieller Not heraus vermietet. Die wenigen Quadratmeter reichten dabei gerade für eine Pritsche und einen Stuhl. Wasch- und Kochmöglichkeiten waren nicht vorhanden. Hier musste in Absprache mit der Hausgemeinschaft eine Lösung gefunden werden. Die Kostgängerkammer im Häuschen Südengraben 28 ist vermutlich das einzige existierende Zeugnis solcher innerstädtischer Wohnverhältnisse, die im 19. Jahrhundert in den unteren Gesellschaftsschichten weit verbreitet waren.
Einhergehend mit diesen Erkenntnissen zur Hausgeschichte fing der Verein Iserlohn-DenkMal e.V. an, das Gebäude fach- und denkmalgerecht zu sanieren. Die Aufmerksamkeit der Presse sowie der Förderpreis der „Stiftung Kleines Bürgerhaus“ standen 2016 am Anfang weiterer Förderungen und Preise. So belegte der Verein 2016 den zweiten Platz des WestfalenBeweger Wettbewerbs der Stiftung Westfalen-Initiative aus Münster. Bis 2018 dauerten die denkmalgerechten Sanierungsarbeiten an, die durch die Fördergelder, Spenden und besonders die vielen Ehrenamtlichen, die selbst Hand anlegten, getragen wurden.
Der Sanierung des Hauses lag dabei das Konzept der Erhaltung durch Neunutzung zu Grunde. Das Haus am Südengraben ist nur ein Beispiel von vielen für die Relevanz von bürgerlichem Engagement wie dem Verein Iserlohn-DenkMal e.V. Um die Öffentlichkeit für die Thematik Denkmalschutz zu sensibilisieren, stellt die Initiative seit 2013 sogenannte „Wächterräder“ vor denkmalwürdigen Bauten auf.
Erste positive Entwicklungen zeigen sich durch die erfolgreiche Zusammenarbeit mit der IGW– Iserlohner gemeinnützige Wohnungsgesellschaft mbH und die Rettung der Bauhaus Siedlung „Schlieper-Block“. Dabei handelt es sich um eine vom Verfall bedrohte ehemalige Arbeitersiedlung, die die Iserlohner Baugeschichte dokumentiert und die auf Betreiben von Peter Treudt schon 2010 unter Denkmalschutz gestellt wurde. Auch aktuell weist der Verein auf gefährdete Bauten, wie das „Christophery-Fabrikgebäude“ in Iserlohn hin.
Dass es dem Verein nicht um eine Musealisierung geht, sondern darum, die Stadt und ihre bauliche Geschichte mit und für ihre Bürger und Bürgerinnen zu erhalten, zeigt sich daran, dass die denkmalwürdigen Bauten nicht unbedingt teuer instandgesetzt und vermietet werden.
Dafür wünscht sich Lüders in der Zukunft ein Entgegenkommen aller Beteiligten und eine positivere Wahrnehmung des Denkmalschutzes in der Öffentlichkeit.
Einfache Maßnahmen wie individuelle Standards bei der Restaurierung sollen Mietpreise ermöglichen, die sich nicht nur Wohlhabende leisten können. Bauten können auf diese Weise erhalten werden, indem sie bewohnt und genutzt werden, und bauliche Geschichte findet so ihre Fortsetzung in die Zukunft hinein.
Literatur:
- Deutsche Stiftung Denkmalschutz (3.10.2017), https://www.denkmalschutz.de/presse/archiv/artikel/es-kommen-schwere-zeiten-fuer-denkmale-in-nrw.html (Zugriff: 07.07.2022).
- Deutsche Stiftung Denkmalschutz (4.04.2022), https://www.denkmalschutz.de/presse/archiv/artikel/das-haus-der-kleinen-leute-in-iserlohn-erhaelt-hilfe.html (Zugriff: 07.07.2022).
- 9 Absatz 3 Denkmalschutzgesetz – DSchG NRW.
- Iserlohn-DenkMal e. V., Kleines Bürgerhaus: „Das Haus der kleinen Leute“ Iserlohn, Südengraben 28, http://www.iserlohn-denkmal.de/mediapool/138/1382493/data/Das_Haus_der_kleinen_Leute_Brosch_re1.pdf.
- Kaspar, Fred (2016): Hinter der Mauer – kleine Bürgerhäuser an und auf der Stadtmauer. Petersberg: Michael Imhof Verlag.
- LWL Pressemitteilung (7.04.2022), https://www.lwl.org/pressemitteilungen/nr_mitteilung.php?urlID=54682 (Zugriff: 07.07.2022).
- Stadt Iserlohn, Denkmalpflege, https://www.iserlohn.de/wirtschaft-stadtentwicklung/denkmalschutz (Zugriff: 07.07.2022).
- Süddeutsche Zeitung (18.04.2022): ‚Umstrittenes Denkmalschutzgesetz: Denkt mal‘,
- https://www.sueddeutsche.de/kultur/denkmalschutz-nrw-ina-scharrenbach-duesseldorfer-erklaerung-deutsche-stiftung-denkmalschutz-protest-1.5567968 (Zugriff: 07.07.2022).